Persönlich

Eine Reise anders als geplant – vom Glück des Umwegs

Mit 27 Jahren kündigte ich meine Arbeitsstelle um für längere Zeit zu verreisen. Dass es eine Reise zu mir selber werden sollte, ahnte ich noch nicht. Am Tag der Kündigung machte ich voller Vorfreude und Übermut eine ruckartige Drehbewegung. Dabei durchfuhr mich ein heftiger Schmerz im Bereich der Lendenwirbel. Es folgten zahlreiche Behandlungen beim Chiropraktiker. Doch die Schmerzen blieben über Wochen sehr stark. Statt Erleichterung kamen noch Schmerzen in der Brustwirbelsäule hinzu. Ich wechselte den Arzt. Die Computertomografie bestätigte die Diagnose des Chiropraktikers: Diskushernie L4/L5/S1. Schmerzmittel nahm ich mittlerweile dankend an. Zudem bekam ich Physio- kombiniert mit medizinischer Kräftigungstherapie verschrieben. 

Dadurch verbesserte sich meine Situation in den folgenden zwei Monaten etwas. So dass ich mich trotz Schmerzen «reisefähig» fühlte. Anstelle der Kräftigungstherapie bekam ich Kräftigungsübungen mit auf die Reise. Diese führte ich zusammen mit den Dehnungsübungen der Physiotherapie gewissenhaft aus. Doch Reisen mit Schmerzen machte mir keinen Spass und ich kehrte schon bald wieder nach Hause zurück. Es folgten weitere Arzt- und Physiotherapiebesuche, Kräftigungstherapie zwei Mal die Woche. Arbeiten im Büro war möglich, aber sehr belastend.

Rund ein Jahr nach meinem «Unfall» hatte ich noch immer keinen schmerzfreien Tag und mein Arzt war mit seinem Latein am Ende. Er überwies mich an einen weiteren Chiropraktiker. Es folgten chiropraktische Manipulationen, kombiniert mit Übungen zur Lockerung des Schultergürtels und Rückenschwimmen. 

Mittlerweile hatte ich mir einen Tick angeeignet: Ich verzog mein Kinn unkontrolliert und ruckartig in einer Art Gähnbewegung nach unten links. Was ich seltsamerweise erst bemerkte, als mich Freunde darauf aufmerksam machten. Daraufhin besorgte ich mir diverse Fachbücher und ging in die Akupunkt-Massage.

Grundsätzlich fühlte ich mich nach Behandlungen besser, jedoch hielten diese Verbesserungen nicht lange an. Nach sanfter sportlicher Betätigung war der Schmerzpegel in etwa gleich hoch wie davor und nach der Arbeit meist etwas höher als zuvor.

Irgendwann bin ich auf das Buch «Alexander Technique in Everyday Life» von Jonathan Drake gestossen. Die Idee, dass man mit seinem Tun bzw. eben Nichttun seinen «Gebrauch» und damit sein Befinden verändern kann, überzeugte mich. Doch für mich war es unmöglich, die Prinzipien aus dem Buch selbständig in die Praxis umzusetzen. Beim «Direktiven-Geben» in der Rückenlage versuchte ich sie «zu machen» oder ich schlief ein. Die Abbildungen waren für mich Beispiele «richtiger Haltung». Aber immerhin bemerkte ich, dass es so nicht funktionieren kann. Und auf der letzten Seite weist Jonathan Drake genau auf diesen Umstand hin und empfiehlt die Unterstützung durch AlexanderTechnik-Lehrende.

Ein paar Tage später hatte ich meine erste AlexanderTechnik-Stunde bei Barbara Ganz in Winterthur.

Ich sass auf einem Hocker und erzählte meine Leidensgeschichte. Zwischendurch wurde ich aufgefordert, die Aussicht zu beschreiben oder das Gewicht meiner Arme abzugeben. Die Frage, wo der Kopf auf dem Hals ruht, überforderte mich. Eigentlich wartete ich bis zum Ende der Lektion auf eine Diagnose oder einen Verhaltensratschlag. Die Aufforderung, darauf zu achten, wie sich mein Kopf auf der Halswirbelsäule bewegt, kam meiner Vorstellung einer Übung noch am nächsten. Dass die Beschwerden nicht im Zentrum der Behandlung standen, irritierte mich. Alles kam mir irgendwie nebensächlich, fast schon unwichtig vor. 

Auf dem Nachhauseweg fühlte ich mich so leicht, dass ich den Bus einfach links liegen liess und die 40 Minuten zu Fuss nach Hause ging. Es war unerklärlich, aber die Bäume waren grüner, die Vögel sangen lauter und ich war glücklich. Keine Ahnung was da geschehen war, aber ich schöpfte wieder Hoffnung und wusste, dass es in diese Richtung weiter gehen wird.

Langsam begann ich zu ahnen, dass mein «Unfall» nicht nur ein isolierter Vorfall war, sondern mit der Art und Weise wie ich selber mit meinem Körper umging, zusammenhing. Ich benötigte allerdings einige AlexanderTechnik-Stunden, bis ich meine «Vollgas»-Einstellung im Sport und meine Ungeduld bei der Arbeit mit dem Bandscheibenvorfall in Zusammenhang brachte. 

Von nun an besuchte ich wöchentlich AlexanderTechnik-Unterricht. Obwohl die Wirkungen nicht mehr so stark waren wie am Anfang, konnte ich meinen Heilungsprozess kaum glauben. Nach rund 20 Lektionen und über zwei Jahre nach dem «Unfall», erlebte ich meinen ersten schmerzfreien Tag. Damit ich nicht übermütig wurde, kamen die Schmerzen schon am nächsten Tag zurück. Aber ich wusste, dass Schmerzfreiheit möglich war und ich den Schlüssel dazu selbst in den Händen hielt. Die Erfahrung, dass ich selber bestimmen kann, wie ich mit meinem Körper umgehe, beflügelte mich. Ich hatte unbändige Lust auf Neues. Nichtrauchen wurde zum Thema und Paartherapie veränderte die Beziehung in ungeahnter Weise. Mit Hilfe der Berufsberatung kam ich zum Schluss, dass eine praktische Tätigkeit meinen Büroalltag bereichern könnte. So informierte ich mich über unterschiedliche komplementärmedizinische Methoden und Ausbildungen. Zehn davon probierte ich selber aus: Akupunktur, Craniosacral Therapie, Feldenkrais-Methode, Kinesiologie, med. Massage, Polarity, Rolfing, Shiatsu, TCM und AlexanderTechnik.

Die Ausbildung zum Lehrer der AlexanderTechnik überzeugte mich aus zwei Gründen:
1) Die Klientin, der Klient ist nicht passiver Konsument, sondern aktiver Teil eines didaktischen Prozesses. 
2) Die Intensität der Ausbildung: Mit vier Halbtagen pro Woche war ich – im Gegensatz zu Blockausbildungen – konstant involviert. Und nachmittags, konnte ich das Gelernte gleich im hektischen Büroalltag anwenden. Ganze drei Jahre lang. 

Am Ende der Ausbildung war ich meistens schmerzfrei und glücklich, dass ich mein Wissen weitergeben durfte. Neben meiner Tätigkeit in einer Werbeagentur habe ich zwei Jahre lang AlexanderTechnik unterrichtet. Mit meinem Vaterwerden bekam die Familie Priorität und ich erhöhte mein Arbeitspensum in der Agentur. AlexanderTechnik blieb ein wertvolles Instrument in meinem Privat- und Arbeitsleben. 

Im Frühling 2020 wurde mir bewusst, dass mir das Unterrichten fehlt und ich gerne als AlexanderTechnik-Therapeut aktiv werden möchte. Ich besuchte AT-Lektionen und begann im privaten Umfeld zu unterrichten. So konnte ich vorhandenes Können auffrischen und weitere Erfahrungen sammeln. AlexanderTechnik erscheint mir fast wie Fahrradfahren … einmal erlernt, verlernt man es nicht mehr ;- ) 

Herzlichen Dank

Bedanken möchte ich mich bei allen die mich auf meinem Weg inspiriert, unterstützt, herausgefordert und immer wieder bestärkt haben. Insbesondere bei: Barbara Ganz, Gisela Schröter-Kunz, Robin Möckli, Erwin Möckli, Elsbeth Läuffer, Gabi Binelli, Karin Safi, Pascal Erni und Malaika Gysi. Verena und Jakob Tischhauser, Monika Tischhauser-Erni und Laila Gysi. Xesca Rodriguez Luis, Sabine Thomen, Ksenia Kucha, Jael Mühlemann, Monika Ortner, Steffen Förster, Matthias Ullmeyer, Chris Gothuey, Tobias Schneider und Fabio Soldati. Eva Baumann, Patricia Kälin, Lisa Maria Nussbaumer, Mar Wieland, Heinz Robert, Daniele Kirchmair und dir lieber Peter für deine Neugier, dein Dranbleiben und stetiges Lernen.

Projekte und Menschen die mich begeistern:

CoWorking: im Salon7zehn
Orientierung: Peakfinder App
Orientierung: Wieweiter
Sinnstiften: Cranio for Trees
Massieren: Genki
Massieren: zWinti
Einrichten: Textildecor
Tanzen: Underground Tribe
Minimalismus: Fast schon Kunst